GEHEIME WERKSTATT 2024

 

Artikel Kölner Rundschau, Juli 2024


Veröffentlichung in der Zeitschrift "textilkunst international", 52.Jg., H.3/2024

 

 

"Bänder, Sternenschürzchen, Hexenwerkzeuge –

die 'Geheime Werkstatt' von KRAPP WIE GOLD"

 

Werkstätten sind in den meisten Fällen hermetische Orte, in denen unter Ausschluß der Öffentlichkeit gearbeitet wird und deren fertiggestellte Werkstücke und Ergebnisse dann irgendwann nach draußen gelangen. Im Handwebmuseum Rupperath bei Bad Münstereifel besteht derzeit die Gelegenheit, eine solche "Geheime Werkstatt" zu besuchen.

 

Die Textilkunstgruppe KRAPP WIE GOLD zeigt eine experimentelle Ausstellung, in der es nicht so sehr um die vollendeten Werke geht, sondern eher um den (manchmal langen und komplizierten) Weg dorthin, der häufig für die späteren Betrachtenden nur wenig nachvollziehbar ist. Die vier Künstlerinnen von KRAPP WIE GOLD gewähren nun für die Besucherinnen und Besucher des Handwebmuseums ein paar Blicke durchs Schlüsselloch und legen Entwicklungen und Prozesse offen, die in der Regel in der Abgeschiedenheit ihrer nicht öffentlichen Ateliers stattfinden.

In der "Geheimen Werkstatt" werden sowohl bereits fertiggestellte als auch halbfertige und frisch begonnene Werkstücke gezeigt, Materialien und Arbeitsschritte, Pläne und Proben, Skizzen und Notizen, Fotos und Zeichnungen, Werkzeuge und allerlei Wege von A nach B - allesamt Geschichten über textile Ideen und Schaffensprozesse. Es geht wahrhaft drunter und drüber.

 

Die Textilkunstgruppe und Werkgemeinschaft KRAPP WIE GOLD wurde im Jahr 2010 in Adenau am Nürburgring gegründet, vorrangig mit dem Ziel, gemeinsame themenbezogene Projekte zu konzipieren.

Der Name der Gruppe bezieht sich darauf, dass die generell häufig geringgeschätzten textilen Materialien und Techniken (hier sinnbildlich vertreten durch das pflanzliche Färbemittel Krapp) symbolisch mit Gold aufgewogen werden sollen. Die vier Künstlerinnen Barbara May, Beate Lambrecht, Birgit Rössler und Nadja Hormisch haben sich alle seit jeher eben genau diesem Spektrum verschrieben. Besonderes Kennzeichen der Gruppe ist die große Vielfalt der textilen Ausdrucksformen und Techniken. Jede Künstlerin hat zwar ihre eigenen Präferenzen, es gibt jedoch auch starke Überschneidungen und Gemeinsamkeiten, die wiederum die Zusammenarbeit beflügeln. Dies betrifft sowohl die Themen als auch die Techniken, mit denen sich die Künstlerinnen auseinandersetzen.

 

Eine starke Inspirationsquelle für die Gruppe ist die Eifellandschaft, in der alle vier an verschiedenen Orten (Ahreifel, östliche und zentrale Vulkaneifel) leben. Sich von der umgebenden Natur beeindrucken und beeinflussen zu lassen, Pflanzen, Flechten und Pilze, Hölzer und Erden, Steine und Metalle thematisch und praktisch in ihre Arbeiten einfließen zu lassen, sei es als zeichengebende Elemente oder aber als extrahierte Substanzen, Pigmente und Farben, gehörte von Anfang an zum gemeinsamen Programm. Eine weitere Überschneidung ist der eindeutige, nicht zu verleugnende Hang aller vier Künstlerinnen zu Geschichte(n). Märchen und Mythen finden häufig Eingang in ihre Werke. Alle vier sind sich auch einig, dass sie ungeniert, spielerisch und nach Herzenslaune die starren Grenzen zwischen textilem Kunsthandwerk und textiler Kunst in beide Richtungen überschreiten möchten und dürfen. Es kommt eben immer auf das jeweilige Projekt an, welche Richtung letztendlich eingeschlagen wird. Manchmal zeigen sich auch überraschend gemeinsame Vorlieben. In der "Geheimen Werkstatt" sind es diesmal beispielsweise Kordeln, Bänder und Schnüre, die die Künstlerinnen in den Bann geschlagen haben und von ihnen daher in allen möglichen Variationen – gefilzt, gewebt, geflochten, genäht, gestickt, geknotet, gehäkelt, gedruckt, gewickelt, gedreht und geknüpft – beigetragen werden.

 

Dass die kleine Schau in dem für Sonderausstellungen vorgesehenen ersten Stock des Handwebmuseums Rupperath gezeigt werden kann, paßt besonders gut - handelt es sich bei dem Museum doch um eine Institution, die aus der realen Praxis einer in den 1960er Jahren gegründeten Textilwerkstatt (der "Werkgemeinschaft für Handwebkunst") hervorgegangen ist und die sich als "lebendiges Museum" begreift. Hier wird zur Geschichte der Woll- und Leinenverarbeitung, des Spinnens und Webens aktiv geforscht, erprobt, vorgezeigt und gelehrt. Eine beeindruckende und fachkundig in Schuss gehaltene Sammlung an vielfältigen Spinn- und Webgeräten aus aller Welt verdeutlicht die Bandbreite und Dimension dieser textilen Kulturleistungen.

 

Barbara May von KRAPP WIE GOLD beschäftigt sich dazu passend auf geradezu wissenschaftliche Art und Weise mit dem Spinnen und Weben. Die Botanikerin experimentiert seit langem neben Faserverarbeitung und Pflanzenfärbung vor allem mit alten textilen Techniken wie Brettchenweben, Nadelbindung, Sprang, und vielen weiteren. Ihre Begeisterung für die Geschichte der Textilkunst, vorrangig die Vor- und Frühgeschichte, wird in der "Geheimen Werkstatt" spürbar, in der sie zahllose Bänder in ihren Entstehungsprozessen offenlegt und die jeweiligen Macharten vorstellt. Einige teilweise fingergewebte und mit themenverwandten Fundstücken versehene Beispiele demonstrieren, welche interessanten gestalterischen Möglichkeiten daraus erwachsen können. Die Wandobjekte "Stroh zu Gold", "Ahrauf Ahrab" und "Prinzessin auf der Erbse" sind auf ungewöhnliche Art gearbeitet und widmen sich inhaltlich der Regionalgeschichte ebenso wie der Wiederbelebung der alten Handwerke, die Barbara May sehr am Herzen liegt.

 

Auch Birgit Rössler zeigt gewebte Arbeiten. Die gelernte Weberin mit Schwerpunkt auf skandinavischen Webtechniken setzt häufig traditionelle Formen und Musterungen ein, um ihre Werke zu schaffen. "Das Tüchlein aus dem Allgäu", das in seiner anmutig schwebenden Präsentation einem alten Märchen entsprungen scheint, ist dafür beispielhaft. Auch Bildweberei wird von ihr praktiziert, um Naturstimmungen wiederzugeben und verborgene Wesen aufleben zu lassen. Die Arbeit "La Tène" aus pflanzengefärbter Wolle, die mit verrosteten Eisenstücken versehen wurde, versinnbildlicht ihre Vorliebe für die keltische Kultur, die in der Eifel sehr präsent ist. Bei "La Tène" kommt in mehreren Farbabstufungen auch die Echte Färberröte (Rubia tinctorium) zum Einsatz, deren Wurzel den krapproten Pflanzenfarbstoff hervorbringt und der zum Namensbestandteil der Künstlerinnengruppe geworden ist.

 

Beate Lambrecht, die Diplom- und Kunstpädagogik studierte, interessiert sich in besonderem Maße für Möglichkeiten der Verbindung unterschiedlicher Materialien mit verschiedenen optischen und haptischen Eigenschaften. Seit langer Zeit erprobt sie vor allem die uralten Techniken des Filzens und kombiniert diese zunehmend mit Druck- und Färbeexperimenten – vorzugsweise unter Verwendung von eigens hergestellten Pflanzenfarben und Farben mineralischen Ursprungs. So entstanden auch die kokonartigen, hängenden Objekte "Capsulae". Aus Wolle und Papier gefilzte, vasenartige Hohlkörper, die auf kleinen Podesten präsentiert werden, muten wie antike unterseeische Fundstücke an. Mitten im Raum gezeigte, geheimnisvolle "Witch Tools" beziehen "hexerei-geeignete" Naturmaterialien mit ein. Zur Zeit experimentiert Beate Lambrecht in ihrem Farblabor mit den Wassern kleiner mineralhaltiger Wiesen- und Waldquellen der Vulkaneifel, die auch "Dreese" (abgeleitet von der keltischen Bezeichnung für "sprudelnde Quelle") genannt werden. Dazu werden verschiedenartige Beispiele gezeigt.

 

Fundstücke und Materialien, die normalerweise gerne übersehen werden, üben auch einen besonderen Reiz auf Nadja Hormisch aus. Die Geowissenschaftlerin und Textilkünstlerin betreibt mit Vorliebe eine Wieder-Sichtbarmachung von Dingen, die scheinbar in Vergessenheit geraten sind. Ihre bevorzugtes Medium ist dabei die professionelle Handstickerei, die sie mit Appliqué- und Collage-, oder Druck- und Färbetechniken kombiniert, um textile Bilder zu schaffen und Geschichten vielfältiger Art zu erzählen. Stickstiche werden von ihr häufig dergestalt eingesetzt, dass sie von ihrem Ursprung, ihrer Form und Haptik oder sogar von ihrem Namen her inhaltlich und thematisch zur entstehenden Arbeit passen. In der "Geheimen Werkstatt" zeigt sie unter anderem die archaisch anmutenden "Ypsilon-Zeichen", die mit einem gestickten Mond- oder Waldkreis hinterlegt sind, und ein handgenähtes "Sternenschürzchen", das nachtblau inmitten einer der Ausstellungsräume hängt. Die kleine Perlenstickerei "Silbermänteli" nimmt Bezug auf die bis in die Pflanzenwelt reichende und im Rheinland sehr verwurzelte Marienverehrung.

 

Da KRAPP WIE GOLD die Besucherinnen und Besucher der "Geheimen Werkstatt" an den Entstehungsprozessen teilhaben läßt, verwundert es nicht, dass die Wände mit Inspirations-Hinweisen, Skizzen und Collagen, Materialproben und erzählenden Texten geradezu gespickt sind. Von der ersten Idee über die Ausführung bis zum fertigen Kunstwerk kann unter Umständen viel Zeit ins Land gehen – dessen sind sich die Betrachtenden häufig nicht bewußt. Auch ahnen sie meist nicht, wie aufwändig es ist, eine Ausstellung "auf die Beine zu stellen". Daher haben die Künstlerinnen eine Auswahl ihrer Arbeitsprotokolle, die sie während ihrer Arbeitstreffen in den vergangenen vierzehn Jahren geschrieben haben, in ihre gegenwärtige Präsentation integriert: Hier kann man unmißverständlich nachlesen, wieviel Zeit und Initiative es unter Umständen braucht, ein gemeinschaftliches Kunst-Projekt zu entwickeln und voranzutreiben. Aktuelle To-do-Listen, Abhakzettel und spontan aufgeschriebene Ideen verfolgen die gleiche Absicht und werden offenherzig und ebenfalls ganz werkstattgemäß gezeigt.

 

KRAPP WIE GOLD verwirklichte in der Vergangenheit bereits mehrere Ausstellungen, die an verschiedenen Stellen in der Eifel, unter anderem in der Ehemaligen Synagoge in Ahrweiler, im Alten Amt in Schönecken (als Projekt des Kultursommers Rheinland-Pfalz) oder im Heimweberei-Museum Schalkenmehren an den Dauner Maaren gezeigt wurden. Neben der (textilen) Geschichte des jeweiligen Ausstellungsortes ist den vier Künstlerinnen im Rahmen ihrer Gruppenaktivitäten auch der ländliche Bezug sehr wichtig: Denn gerade hier, in der Provinz, gilt es, nach den Perlen zu tauchen.

 

In der "Geheimen Werkstatt" geht es also höchst lebendig zu. Sich sachte drehende wollene Spiralen und Mobiles aus Papier und Upcycling-Material versinnbildlichen die Bewegung und Energie, die hinter all dem steckt. Die Ausstellung im Handwebmuseum Rupperath bei Bad Münstereifel ist noch bis zum 23. Oktober 2024 zu sehen.

 

Nadja Hormisch

 

 

 

 


MONOCHROM und METALL  2012

 

Eröffnungsrede "Monochrom und Metall" Ahrweiler

 

 

Liebe Künstlerinnen, liebe Gäste,

 

 

wenn Sie ins Internet gehen und die beiden Begriffe „Textilkunst“ und „Stiefkind“ zusammen googeln, kriegen Sie ungefähr 2000 Treffer. Viele davon beziehen sich auf die zahlreichen Stiefkinder in den Märchen, was seinen Grund darin hat, dass Märchen bekanntlich oft Gegenstand der Textilkunst sind. Aber sehr viele beziehen sich auch auf den Status der Textilkunst in der Wahrnehmung:

 

Die Textilkunst, das schöpferische Arbeiten mit Farben, Fasern, Stoffen, Geweben, mit Nadel, Faden, Webstuhl, das Wirken, Walken, Filzen, Nähen und Sticken und die Werke, die dabei entstehen – all das ist Stiefkind der Kunst und Kunstgeschichte, ist im Schatten, in einer Nische der seriösen Betrachtung, ist traditionell gering geschätzt, hat im Kanon der Kunstformen allenfalls einen Zweite-Klasse-Status, ist selbst noch auf der Etage „unterhalb der Kunst“, wie man so sagt, nämlich auf der Ebene des Kunsthandwerks gegenüber anderen Kunsthandwerkformen imagemäßig klar im Hintertreffen.

 

„Wo Wolle ist, ist auch ein Weib

das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“

 

Das ist nur ein Beispiel aus der jüngeren Kunstgeschichte, nämlich ein Spruch des prominenten Malers und Bauhausmeisters Oskar Schlemmer. Mit eingeschlossen ist hier neben der Geringschätzung der Textilkunst auch die Geringschätzung einer Handarbeit, die als „spezifisch weiblich“ verstanden wird. Ein anderer Bauhausmeister, Joseph Albers, vertrat die These, dass Frauen nicht räumlich denken können, sondern nur in der Fläche, deshalb sei die Weberei für sie die passende Tätigkeit. Diese Haltung wurde aber auch von den Frauen selbst geteilt, wie es bei der Künstlerin Gunta Stölzl anklingt in ihrer Aussage über die Webkunst: Zu den „allgemeinen Anlagen des weiblichen Geschlechts“ zählt sie „gesteigertes Materialempfinden“, „starke Einfühlungsfähigkeit“, aber auch „ein mehr rhythmisches als logisches Denken“ – das mache die Frau zum textilen Gestalten wie geschaffen.

 

Hier haben wir es also mit den beiden offenbar bis heute nachwirkenden Assoziationsketten zu tun:

 

- auf der einen Seite das männliche Prinzip, verkoppelt mit Logos-Logik/Tiefe/Kopfarbeit und mit dem Resultat Text – signiert vom „Autor“, also individueller Ausdruck,

 

- auf der anderen Seite das weibliche Prinzip, verbunden mit Empfinden/ (Ober-)Fläche/Handarbeit und dem Ergebnis Textilien – früher in fast allen Fällen anonym.

 

(Wobei, das wissen wir, Text und Textilien sind beide von demselben lateinischen Wort hergeleitet, das Verweben, Verflechten bedeutet. Und bekannt ist auch, dass Textilarbeit keine reine Frauendomäne ist und nie war, dass zum Beispiel Walken und Filzen von Männern praktiziert wurde und in Asien noch wird – ebenso wie, als noch in großem Stile mit der Hand gewebt wurde, ebenso viele Weber wie Weberinnen am Werk waren...)

 

Jedenfalls und noch einmal: Textilien und Textilkunst = Stiefkinder der Kunst, der Kunstgeschichte, der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die Kölner Professorin für Kunst und Kultur von Textilien und Kleidung und ihre Didaktik Marita Bombek bringt den Status Quo folgendermaßen auf den Punkt:

 

- „Das schöpferische Element textilen Gestaltens scheint überflüssig geworden zu sein und die Bedeutung textiler Gegenstände wird zur Marginalität herabgewürdigt.“ „Textilien und ihre Herstellung scheinen im Gedächtnis unserer Kultur nur noch am Rande zu existieren.“

 

- „Textilien haben in der heutigen Gesellschaft aber auch als Kunstform keinen eigenen Wert mehr“. Die Textilgestaltung sei damit heute in doppelter Hinsicht „sinnentleert“.

 

- Im Verschwinden begriffen oder sogar schon verschwunden sei im Zuge dieser Sinnentleerung einer der größten Kulturschätze überhaupt, nämlich, wie es Marita Bombek ausdrückt, „das Aneignen der Welt durch das Verstehen über die Hand“ und eine „jahrtausendealte kulturelle Sprachform der Hand.“

 

- - -

 

So – jetzt habe ich Ihnen und uns ein ganz schwarzes Bild gemalt...

 

... mit dem ich Sie natürlich nicht in die Ausstellung entlassen kann und will. Denn wir wären nicht hier versammelt und die Ausstellung gäbe es gar nicht, wenn nicht alles auch ganz anders wäre.

 

Damit komme ich endlich zu „Krapp wie Gold“ und den vier Künstlerinnen Nadja Hormisch, Beate Lambrecht, Barbara May und Birgit Rössler. Ich habe ja eben den Ausflug in die Geschichte und ins Allgemeine nur gemacht, weil die Künstler- und Werkgruppe „Krapp wie Gold“ ein Programm hat, das um diese Geschichte weiß und auf sie reagiert. Das Programm steckt schon im Namen: Krapp ist eine alte Färberpflanze für Textilien, und „Krapp wie Gold“ wiegt symbolisch textile Fertigkeiten und Techniken mit Gold auf. Bestimmt also deren Wert neu und anders als eben geschildert – oder genauer: legt den Wert wieder frei, den die Textilkunst seit jeher in der Geschichte hatte und der heute aus dem Blick geraten zu sein scheint. Anders gesagt: Hier soll der Kulturschatz aufgedeckt, gehoben und wieder produktiv gemacht werden, von dem eben die Rede war: die jahrtausendealte kulturelle Sprachform der Hand. Und im gleichen Zug arbeiten die vier Künstlerinnen auch an der Rehabilitierung der Materialien: der oft und immer wieder als „arm“ und „gering“ missachteten und missverstandenen Materialien. Auch die werden mit Gold aufgewogen, erhalten jenen Glanz und jenes Gewicht zurückerstattet, das ihnen zukommt und zusteht.

 

Völlig konsequent im Rahmen dieses Programms erscheint mir dabei der Titel, also das Konzept der jetzigen Ausstellung: Monochrom und Metall.

 

Zum einen: Wer monochrom für „arm“ und monoton hält, wird sich wundern und kann hier sehen, welche Pracht das Monochrome entfalten kann. Schauen Sie sich Nadja Hormischs Energiebilder an oder Beate Lambrechts „Kraft-Rad“ oder Birgit Rösslers Arbeiten, die auf die vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser Bezug nehmen. Es gibt nur eine Energie im Kosmos, die sich aber in vielen Formen realisiert. Es gibt nur eine Handvoll Primärfarben, die den ganzen Reichtum der Farbenwelt generieren. Und aus den wenigen klassischen Naturelementen entfaltet sich der ganze Reichtum der Objektwelt. Die Grundlage des Reichtums ist also immer einfach, sozusagen „arm“, quasi monochrom.

 

Zum anderen: Auch wer das Metallische und das Textile für Widersacher hält, wird hier eines Anderen belehrt. Der Stoff besteht aus Fasern und Luft, ist organisch und vergänglich. Aber das Metall ist auch nicht ewig, es korrodiert, verbindet sich mit der Luft zu einem neuen Dritten, zerfällt, zerbröselt, ändert die Farbe und die Konsistenz, kurz: es unterliegt einem Stoff-Wechsel – es sei denn, es handelt sich um das erwähnte Gold, mit dem alles aufgewogen wird...

 

Man merkt; „Krapp wie Gold“ verknüpft hier schon im Namen der Ausstellung und erst recht dann in den einzelnen Objekten die Gedanken- und Motiv-Fäden, verbindet das Schatzmotiv mit dem Vergänglichkeitsmotiv und stiftet spannende Stoff-Wechsel-Beziehungen zwischen Reich und Arm, zwischen einem Dauerhaft-Kompakten, das sich als durchlässig-porös erweist, und einem dauernd vom Verschwinden Bedrohten, das sich trotzdem auf wundersame Weise durch alle Zeiten und Schichten zieht.

 

Sie sehen auch: Die Künstlerinnen haben offensichtlich das Schicksal der Textilkunst, das ich eingangs skizziert habe, in ihrer Arbeit mitreflektiert. Sie setzen sich auseinander mit dem Vergessen und Vergessenwerden, mit dem Verschwinden, betreiben zugleich Rettung, Wiedererinnerung, Sichtbarmachung, Wiederbelebung – spielen mit den Bewertungsmaßstäben, rücken das Marginale und Vernachlässigte ins Zentrum, machen das Geringe groß, zeigen das Alte neu, schaffen Neues aus Altem und Gebrauchtem. Dass sie sich dabei an vielen Stellen auf Märchen und Mythen beziehen, ist natürlich kein Zufall – siehe die anfangs erwähnten zahlreichen Stiefkinder in den Märchen...

 

Dabei arbeitet jede der Vier größtenteils mit den von ihr bevorzugten Techniken:

- Birgit Rössler webt,

- Beate Lambrecht filzt,

- Nadja Hormisch stickt – nein, das wäre zuwenig gesagt, sie

  betreibt Nadelmalerei,

- und Barbara May setzt neben Strickerei fast verschollene

  Techniken wie Bandweberei und Fingerweberei ein.

 

Bei aller Verschiedenheit und Vielfalt haben aber alle Arbeiten – über das hinaus, was ich schon angedeutet habe – nach meinem Eindruck vor allem fünf große Gemeinsamkeiten:

 

1. Alle Objekte pflegen ein Gedächtnis, haben ein Gedächtnis, sind Gedächtnis in mehrfacher Hinsicht. Sie gedenken Dingen oder Wesen, die verschwunden sind. In ihnen sind Erfahrungen, Gefühle, Leidenschaften aufgehoben. Die Künstlerinnen haben ihre Themen nicht bloß bearbeitet, sondern buchstäblich eingearbeitet mit der Sprache ihrer Hand ins Material (weswegen übrigens etliche Arbeiten unverkäuflich sind).

 

2. Gleichzeitig ist in den Objekten auch das Gedächtnis an ihre Entstehung aufgehoben: Der in sie investierte Prozess kann an ihnen studiert, nachverfolgt und beobachtet werden, ist dokumentiert, materialisiert. Die Objekte tragen und zeigen die Spuren der Hand-Arbeit und der Hand-Arbeits-Zeit als Teil ihrer ganz besonderen Ästhetik.

 

3. Alle Objekte sind auch Texte, die gelesen werden können. (Sie erinnern sich: die Assoziationskette, die dem männlichen Prinzip den Text, dem weiblichen die Textilien zuweist...). Nadja Hormisch etwa demonstriert, wie man mit Nadel und Faden regelrecht texten kann. Und wer erkennt nicht in Barbara Mays „Prinzessin auf der Erbse“, „Froschkönig“ und „Zaunkönig“ das Versmaß, den Zeilenumbruch und die Strophenform?

 

4. Die Objekte arbeiten durchweg nicht nur in der Fläche, sondern auch im und mit dem Raum (von wegen also: kein räumliches Denken bei Textilkünstlerinnen...). Sie haben Tiefe allein schon, weil ihnen, wie eben erwähnt, die Zeitdimension eingewoben, eingewalkt, eingenadelt wurde.

 

5. Alle Objekte sind „signiert“, also Zeugnisse individuellen Ausdrucks. Sie erweisen aber zugleich auch dem Anonymen ihre Reverenz, indem sie die anonymen Artefakte und die anonymen Fundstücke spielerisch integrieren und liebevoll adoptieren. Zu den anonymen Elementen will ich hier auch die anonymen Erzählstoffe (Märchen und Mythen) zählen sowie und die anonymen Technik-Erfindungen, deren Urheber oder Urheberinnen unbekannt sind.

 

Die Textilgestaltung sei heute „sinnentleert“, wurde eingangs gesagt. Hier, bei „Krapp wie Gold“, haben Sie nun, um es zusammenzufassen, das Gegenbild und die Gegenbewegung zu dieser Sinnentleerung: eine Fülle von Sinn – und überaus sinnlich; eine Fülle von Farben, Formen und Spielarten der Schönheit; eine Fülle von Statements in den Sprachen des Materials und denen der Hand.

 

Ich wünsche Ihnen viel Freude in der Ausstellung.

 

 

Manfred Etten

 

 

(Die Zitate sowie viele Anregungen zu dieser Rede habe ich entnommen aus Prof. Dr. Marita Bombek: „Frauen haben eine Affinität zu Textilien und Kleidung! Haben Frauen eine Affinität zu Textilien und Kleidung?“ In: Frauen antizipieren Zukunft, Köln 2000.)

 


Veröffentlichung in der Zeitschrift "Lavendelschaf", H.40/2012

 

Monochrom und Metall“ -

 

Textilkunstausstellung der Gruppe „Krapp wie Gold“ in der ehemaligen Synagoge in Bad Neuenahr-Ahrweiler

 

In Bad Neuenahr-Ahrweiler im Rheinland wurde am 28. April 2012 in der ehemaligen Synagoge die Textilkunstausstellung „Monochrom und Metall“ der Gruppe „Krapp wie Gold“ eröffnet und anschließend bis zum 6. Mai gezeigt.

 

Unsere Gruppe für Textile Kunst „Krapp wie Gold“ besteht seit Ende 2010. Wir sind vier Frauen, deren Anliegen es ist, das Ansehen der Textilen Kunst hierzulande zu fördern. Dabei ist der Name der Gruppe Programm. Krapp, die alte Färberpflanze, steht symbolisch für die Materialien, die wir für unsere Arbeiten verwenden, genauso wie für die textilen Handwerkstechniken, mit denen wir uns ausdrücken. Der Zusatz „wie Gold“ im Namen deutet auf die Wertschätzung dieser Materialien, Techniken und Fertigkeiten hin, wiegt sie symbolisch mit Gold auf.

Dabei arbeitet jede von uns in den von ihr bevorzugten Techniken:

-        Birgit Rössler webt,

-        Beate Lambrecht filzt,

-        Nadja Hormisch betreibt Nadelmalerei mit freier Stickerei,

-        Barbara May setzt neben Stricken und Häkeln alte Techniken wie Brettchenweben, Fingerweben, Sprang etc. ein.

In gemeinsamen Projekten und Ausstellungen wollen wir unsere inneren Bilder und Assoziationen zu bestimmten, ausgewählten Themen mit unterschiedlichen Techniken und Materialien ausdrücken – jede in ihrer eigenen Herangehensweise und textilen „Sprache“ bzw. „Handschrift“.

Als eine starke Inspirationsquelle dient uns die natürliche und kulturelle Vielfalt der Eifel, in der wir an unterschiedlichen Orten leben. Auch Märchen und Mythen haben einen großen Einfluß auf unser künstlerisches Schaffen.

 

Mit unserer ersten gemeinsamen Ausstellung „Monochrom und Metall“ haben wir uns jetzt in der ehemaligen Synagoge von Bad Neuenahr-Ahrweiler der Öffentlichkeit vorgestellt.

Monochrom“ bedeutet dabei, daß die jeweilige Arbeit in überwiegend einer Farbe gehalten ist, wobei das ganze Spektrum der Farbe gemeint ist – kleine Zusätze einer verwandten oder sinngemäß passenden Farbe sind möglich.

Jedes Werk beinhaltet zusätzlich etwas Metallenes, seien es Metallfäden, Drähte, rostige Funde, Schokoladen-Metallfolie oder Blattgold. In einigen Fällen ist Metall auch einfach als Farbe interpretiert.

Bei der Wahl der textilen Materialien reicht die Palette von Schafwolle – z.T. handgesponnen und pflanzengefärbt - über Alpaka, Lama, Mohair, Seide, Leinen, Baumwolle zu Spitzenstoffen- und borten sowie Seiden- und Organzastoffen. Da hat jede Künstlerin ihre Vorlieben, bzw. für bestimmte Techniken eignen sich manche Materialen eher besser als andere.

Zusätzlich zu den textilen und metallenen Werkstoffen wurden Äste, Rinden und andere Holzelemente, Steine, Glasscherben, Korken, trockene Pflanzenteile und vieles mehr - passend zum jeweiligen Objekt - mit eingearbeitet.

So sind für diese Ausstellung „Monochrom und Metall“ 30 Werke entstanden, größtenteils Wand-, aber auch einige Raumobjekte. Obwohl jede Künstlerin ihren ganz eigenen Stil hat, passen doch alle Werke sehr gut zusammen.

 

Auf den folgenden Bildern sind einzelne Arbeiten bzw. Details davon als Beispiele zu sehen:

Bild 2:

oben links: Birgit Rössler: Gebetsfahne „In Memoriam“, Detail

oben rechts: Birgit Rössler: „Wasser: St. Ives“

unten links: Nadja Hormisch.  „Wildes Stiefmütterchen“,

unten rechts: Nadja Hormisch: „Wildes Stiefmütterchen“, Detail

Bild 3:

oben links: Beate Lambrecht: „Eisenzeit“

oben Mitte: Barbara May: „Froschkönig“, Detail

oben rechts: Barbara May. „SteinReich“, Detail

oben rechts-Mitte: Beate Lambrecht: „Geheimnisse“, Detail

unten: Barbara May: „Zaunkönig“, Detail

Bild 4:

oben links: Beate Lambrecht. „Isobel, Tochter von Dornröschen“

oben rechts: Nadja Hormisch: „Tausendgüldenkraut im gleißenden Sonnenlicht“, Detail

unten links: Birgit Rössler: „Erde: La Tène“, Detail

unten rechts: Barbara May: „Stroh zu Gold“, Detail

 

Insgesamt ist festzustellen, daß uns die Arbeit für die Ausstellung viel Freude gemacht hat und daß die Ausstellung von vielen interessierten Besuchern angesehen wurde. Aufgrund der sehr positiven Resonanz überlegen wir nun, die Ausstellung „Monochrom und Metall“ noch an weiteren Orten zu zeigen.

 

Wer sich über die Künstlerinnen, die Ausstellung „Monochrom und Metall“ und künftige Pläne und Vorhaben informieren möchte, kann sich unsere Homepage www.krapp-wie-gold.jimdo.com anschauen oder bei Barbara May anrufen (Tel. 02643-5147, Anfragen an die anderen Künstlerinnen werden dann weitergeleitet).

 

 

Barbara May